In unserem Interview erzählt die Schweizer Jägerin Renate Fahrni, was sie mit der Jagd verbindet und welche Rolle für sie Tradition und Nachhaltigkeit in der Schweizer Bergjagd spielen.
Renate, wie verbindest du deine Leidenschaft für das Jagen mit deinem Beruf als Pflegefachfrau?
Ich versuche in allen Bereichen meines Lebens nur diejenigen Dinge zu tun, von denen ich wirklich überzeugt bin, deshalb kann ich auch vieles mit Leidenschaft machen. Die Natur und das Jagen sind ein guter Ausgleich zu meinem Job. Damit gewinne ich Energie, ich kann runterfahren, habe meine Erlebnisse. Ich blühe auf, weil das mein Leben ist. Es ist kein Hobby, sondern eine Passion, ein Handwerk.
In meinem Beruf bin ich, genauso wie beim Jagen, mit dem Tod konfrontiert. Ich bin mir darüber sehr bewusst, finde aber nicht, dass die Pflege ein Gegensatz zum Jagen ist. Das Sterben gehört zum Leben dazu, auch in meinem Beruf geht es nicht nur um Rettung und Heilung. In vielen Momenten sind wir Menschen machtlos. Wir wissen, eine Person wird sterben, und versuchen sie dann bis zu diesem Zeitpunkt bestmöglich zu begleiten. Ich setze mich sehr intensiv mit dem Thema Leben und Tod auseinander. Zur Jagd gehört das Sterben eines Tieres einfach dazu.
Wie war dein erstes Mal auf der Jagd?
Es war ein komisches Gefühl. Bis dahin konnte ich mit meinem Vater mitgehen, das war sehr spannend und ich habe viel miterlebt, aber ich hatte nie Verantwortung für mein Handeln. Mein erster Jagdgang war im Elsass und ich wusste genau, welchen Rehbock ich erlegen wollte. Am Hochsitz kamen dann aber die ersten Unsicherheiten. Ich war mir nicht sicher, wie ich meine Waffe richtig auf die Brüstung legen sollte, mein Rucksack war mir auch im Weg und ich dachte: „Oh Shit, kann ich das überhaupt?“
Ich wusste es nicht. Dann kamen ganz viele andere Tiere und meine Nervosität stieg: „Will ich dieses Tier oder warte ich?“ Plötzlich bist du für jeden deiner Schritte verantwortlich und du alleine entscheidest, ob dieses Tier sterben soll oder nicht. Schließlich kam der besagte Rehbock. Ich konnte schießen, der Bock ist aber noch weiter gegangen und war nicht auf der Stelle tot. Ich dachte: „Oh nein, nicht getroffen. Super, was mache ich jetzt?“ Dann habe ich meinen Vater angerufen, dass er sofort kommen muss. Der hat ziemlich gelacht, weil er schon so lange jagt, dass er das natürlich kennt.
Der Rehbock ist schlussendlich 50 Meter weiter gelegen. Es war ein super Schuss, alles gut. Das sind Erfahrungen, das sagt dir vor deiner ersten Jagd niemand.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für dich und deinen Fleischkonsum?
Nachhaltigkeit ist ein großes Wort, man könnte so viel machen und entdeckt bei seinem eigenen Lebensstil aber oft, dass man bei ganz vielen Dingen mogelt. Mein Fleischkonsum ist für mich aber nachhaltig. Ich esse zu 99 Prozent nur mein selbst erlegtes Fleisch und kann gut auf das andere verzichten. Von meinem Tier versuche ich auch möglichst viel zu verwerten. Ich esse nicht jeden Tag Fleisch, aber wenn, dann will ich ein gutes Wildbret.
Der Konsum wird durch das Jagen viel bewusster, weil ich mich wirklich mit dem ganzen Prozess auseinandersetze. Ich weiß, woher das Tier kommt, und auch, dass es vorher jemand erlegen muss. Ohne dieser Erfahrung beim Jagen weiß man zwar, dass es ein Tier ist, aber man kauft es abgepackt und ist nicht mit dem ganzen Lebewesen konfrontiert. Das wäre viel einfacher, aber ich bin sehr froh darüber, den gesamten Prozess zu kennen, und schätze das Fleisch dadurch auch viel mehr.
Was macht die Schweizer Jagd aus?
In der Schweiz kann ich jede Art von Jagd ausüben. Es gibt eine sehr große Artenvielfalt, der Wildbestand ist gut und man kann fast jede Tierart bejagen, die gesetzlich erlaubt ist. Ich habe hier mit Bergen, Flachland und Seen außerdem das ganze Spektrum der Natur. Am liebsten bin ich in den Bergen unterwegs.
• Gewehr mit hochwertiger Zieloptik
• Munition
• Fernglas
• Jagdpatent und andere Papiere
• Bergschuhe
• Essen und Trinken
• frische Kleidung für alle Wetterlagen
• Seil
• Teleskop
• Jagdhut
• Messer
Welche Rolle spielt die Tradition für dich bei der Jagd in der Schweiz?
Die Tradition ist für mich ein wichtiger Aspekt. Zum einen kleide ich mich auf der Jagd immer noch am liebsten traditionell in Grün und Braun, zum anderen geht es auch um Bräuche wie die Ehrerbietung für das Tier und ich finde es schade, dass das immer mehr verloren geht. Traditionen wie der letzte Bruch, der Schützenbruch, das Feiern mit den anderen Jäger:innen, wenn das Wild am Boden liegt.
Es wird gratuliert, man wünscht Weidmannsheil, es werden Fotos gemacht und eine richtige Zeremonie veranstaltet. Dieses Gesellschaftliche geht immer mehr verloren. Früher ist man nach der Jagd mit den erlegten Tieren ins Dorf gegangen und die Leute kamen, um sich die Tiere anzusehen, es war etwas Besonderes. Das kommt heute kaum noch vor.
Ich bin stolz, Jägerin zu sein, und will das auch zeigen können. Ich will nicht prahlen, aber ich will offen dahinterstehen können. Wenn ich meinen grünen Klufthut trage, sieht jeder, dass ich Jägerin bin. Darauf sollte man eigentlich stolz sein und sich nicht verstecken, was ziemlich viele in der Öffentlichkeit machen. Sie wollen keine Konfrontationen.
Wie können Jäger:innen ihre Leidenschaft denjenigen näherbringen, die mit der Jagd nichts zu tun haben?
Ich persönlich habe fast alle meine Freundinnen, die mit der Jagd nichts am Hut haben, zur Jagd mitgenommen. Sie haben gehört, wie ich leidenschaftlich von meiner Passion erzählt habe, wie mich das fasziniert und haben mich dann gefragt, ob sie mitkommen dürfen.
Selbstverständlich habe ich sie mitgenommen und am Ende des Tages haben sie gesagt: „Okay, so habe ich mir das nicht vorgestellt. Ich bin überwältigt von all diesen ergreifenden, spannenden Momenten, wie ihr die Natur wahrnehmt, wie ihr euch in der Natur verhaltet, wie ihr euch gegenüber dem Tier verhaltet.“ Sie hatten davor ein völlig anderes Bild.
Dennoch kann man nicht jeden auf die Jagd mitnehmen. Ich finde ohnehin die Öffentlichkeitsarbeit fast am wichtigsten. Man muss ehrlich und authentisch sein. Das Erle- gen eines Tieres gehört zur Jagd dazu, aber auch alles andere. Wenn man auf der Jagd ist, sollte man den Leuten nicht aus dem Weg gehen, sondern sich ganz normal verhalten und auch gewisse Fragen mit ihnen klären, anstatt sich zu verstecken. Ich glaube, die Jäger:innen selbst müssen anfangen, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren und dort ihre Einstellung zu vertreten.
Wir müssen die Jagd erklären und dafür einstehen. Weil es so viel Gegenwind gibt, der auch immer mehr wird, müssen wir uns für dieses Handwerk jetzt umso mehr einsetzen.
Wie passen Jagd und
Naturschutz zusammen?
Ich finde, das passt sehr gut zusammen. Nur wenige Prozent meiner Arbeit entfallen auf den Abschuss eines Tieres, nebenbei leiste ich viel für die Natur, wie beispielsweise meine Hegestunden und die Rehkitzrettung. Da wehre ich mich auch gegen diesen allgemeinen Spruch, dass wir die Kitze ja nur retten würden, um sie dann schießen zu können. Ich mache das doch nicht, damit ich das Reh später schießen kann. Ich mache das, um dem Tier das Leid zu ersparen. Insgesamt denke ich, die Jägerschaft macht sehr viel Naturschutz, auch im weitesten Sinn.
Über die Autorin:
Renate Fahrni
Renate Fahrni ist Jägerin im Berner Oberland in der Schweiz. Das Jagdrevier der Schweizerin befindet sich in den Bergregionen Simmental und Emmental.
Sie ist fest davon überzeugt, dass sich die Jagd und Nachhaltigkeit sowie Technologie und Tradition in Einklang bringen lassen. Ihr liegt die Freiwilligenarbeit und Unterstützung der Rehkitzrettung ganz besonders am Herzen.