Karl Schmid ist Metzgermeister und Jäger. Beides sind für ihn unverzichtbare Lebensinhalte, die sich gegenseitig bedingen.
Am bayerischen Kochelsee hat er neben seiner Metzgerei einen EU-zertifizierten Wildzerlege- und Verarbeitungsbetrieb gegründet. „Mein Leitsatz dabei war und ist, dass ich nur regionales Wild höchster Qualität verarbeite.“ In diesem Artikel verrät er, worauf es für das erfolgreiche Ernten und Verarbeiten von Wildbret ankommt.
Wildbret trifft den Nerv der Zeit
Das Thema nachhaltige, gesunde Ernährung ist längst zu einem der präsentesten unserer Zeit geworden. Während manche Menschen Fleisch nur noch als verpackte Ware im Supermarktregal kennen, ernähren sich andere bewusst rein pflanzlich. Gleichzeitig wächst bei vielen Menschen das Bedürfnis nach “Slow Food”, also nach regional erzeugtem, saisonabhängigem, natürlichem Essen.
An dieser Schnittstelle steht die Jagd. Die Tiere wachsen stressfrei auf und sterben stressfrei – wenn alles richtig gemacht wurde.
Photocredit: Mario Ensmann
Wildbret als wertvolles Lebensmittel
Wildbret ist das „sauberste“ Lebensmittel im Fleischbereich. Das Tier ernährt sich ausschließlich aus dem, was die Natur bietet. Das Fleisch enthält keinerlei Rückstände von Medikamenten und ist so gut wie cholesterinfrei. Das Aroma ist auch mit dem teuersten Kobe-Rind nicht zu vergleichen.
Doch dieses hochwertige Nahrungsmittel verlangt äußerste Sorgfalt im Umgang.
1. Überlegt und sauber schießen
2. Passende Ausrüstung verwenden
3. Rechtzeitig liefern und aufbrechen oder lüften
4. Richtig und sauber aufbrechen
5. Wildbret sachgemäß zerlegen
Die Planung
Vor der Jagd
„Das beginnt eigentlich schon zu Hause“, sagt Karl Schmid, der die Wissensvermittlung über den richtigen Umgang mit Wildbret zu seinem Beruf gemacht hat. „Bevor ich auf die Jagd gehe, überlege ich genau, wo ich hingehe. Denn wenn ich ein Stück erlegt habe, dann muss ich damit spätestens nach 30 Minuten in der Wildkammer sein, damit ich es unter sauberen Bedingungen aufbrechen kann.“
Die Zeit
Auf das Timing kommt es an
Diese Zeitspanne ist kritisch, denn nach ihrem Ablauf überwinden die Bakterien den Verdauungstrakt des Tieres und können das Fleisch belasten. Doch oft ist es rein logistisch nicht machbar, ein erlegtes Stück innerhalb dieser kurzen Frist zu bergen und in die Kühlung zu verbringen, beispielsweise bei der Jagd in unwegsamem, wenig besiedelten Gelände. In diesem Fall rät Karl Schmid dazu, das Wild umgehend zu lüften: „Viele meinen, es reicht, wenn man die Haut unterhalb der Schulterblätter aufschneidet. Wichtig ist aber, dass man die Bauchdecke des Wildes, beginnend am Schloss, also der Beckennaht, ungefähr zehn Zentimeter weit aufschneidet – natürlich ohne das Gedärm zu verletzen. Dann können die Gase entweichen.“ So kann dann beim Transport des Wildes auch kein Schmutz eindringen, da die vorfallenden Innereien diese Öffnung zeitnah verschließen.
Kein gutes Wildbret ohne richtige Ausrüstung
Doch zuvor muss das Stück erst mal erlegt werden. Eine gute Optik ist dabei unerlässlich: Ein hochwertiges Fernglas, damit man das richtige Stück selektiert und ein wirklich gutes Zielfernrohr, um sauber schießen zu können.
PRÄZISION
Schuss in die Kammer
Ganz entscheidend: „Es gibt nur einen einzigen Schuss, der für gutes Wildbret sorgt, und das ist der Schuss in die Kammer, also durch Lungen und womöglich Herz“. Darauf legt Karl Schmid besonderen Wert, denn nur dann kann das Tier richtig ausbluten. Der Schweiß sammelt sich dann in der Brusthöhle und gerinnt sofort.
Und der Küchenschuss?
„Es gibt immer noch die Mär vom Küchenschuss aufs Haupt oder den Träger. Das sind aber keine Küchenschüsse, denn dabei werden die großen Blutgefäße nicht verletzt. Das Tier blutet dann nicht aus, die Fleischqualität leidet darunter.“ In manchen Ländern ist es Vorschrift, bei solchen Schüssen sofort ans Wild zu treten und mit dem Messer am Trägeransatz einen tiefen Schnitt zu machen, so die Halsschlagader zu durchtrennen und das Wild dann ausbluten zu lassen.
Nach der Jagd
In der Wildkammer wird das Wild dann fertig ausgeweidet. Die Beckennaht bleibt dabei geschlossen, denn sonst trocknen die Keulen auf der Innenseite aus. Die Organe werden dann auf Krankheitsmerkmale untersucht. Finden sich solche, muss das Stück entsorgt werden.
Ist das Wild unbedenklich, wird es in die Kühlung verbracht und langsam auf 4° Celsius heruntergekühlt. Diese Phase wird als Erstreifung bezeichnet und dauert rund 24 Stunden. Während dieser Zeit tritt auch die Totenstarre ein. Wird diese Erstreifung durch zu tiefe Temperaturen beschleunigt, kommt es zu einer kältebedingten Verkürzung der Muskelfasern und das Fleisch wird zäh.
Zeit und Temperatur
Wildbret richtig reifen lassen
Nach abgeschlossener Erstreifung beginnt die tatsächliche Fleischreifung. Dieser Reifungsprozess dauert mehrere Tage, das Wild verbleibt dabei am besten in Decke oder Schwarte, damit das Fleisch nicht austrocknet. Wichtig dabei ist, dass die Temperatur nicht über 4° und nicht unter 1° Celsius liegt, ansonsten tritt die Reifung nicht ein.
„Was viele nicht wissen: Man kann Wildbret auch ohne lange Fleischreifung verzehren“, erklärt Karl Schmid. „Das nennt sich dann Nullreifung. Wenn ich ein Tier innerhalb der ersten 24 Stunden zerlege und verzehre, dann ist das butterzart. Man stelle sich einen Jährling oder ein Schmalreh im Mai vor, das sich von besten frischen Kräutern ernährt hat und das in dieser „Nullreifung“ zubereitet wird: ein unvergleichliches Aroma.“
Die Hygiene
Das Wild aus der Decke schlagen
Ist die Reifung abgeschlossen, wird das Wild aus der Decke geschlagen oder abgeschwartet, sprich: die Haut wird abgezogen. „Dabei sollten möglichst keine Haare aufs Fleisch gelangen, denn die sind dann nur schwer wieder herunterzubekommen.“ Noch ein weiterer Punkt ist dem Metzgermeister Schmid dabei wichtig: „Es sollten immer Handschuhe getragen werden, das ist aus Hygienegründen unverzichtbar. Und bitte: keine Schnitte ins Fleisch!“
Um einem Stück Rehwild die Decke abzuziehen, sind lediglich vier Schnitte mit dem Messer nötig: zwei an den Keuleninnenseiten Richtung Becken und zwei, um die Bauchlappen seitlich einzuschneiden. Für alles Weitere benützt Schmid den Knauf des Messers, mit dem er die Haut stumpf vom Fleisch ablöst.
Geheimtipp
Beaver knife
Für größere Stücke oder für Wildschweine, deren dicke Schwarte sich kaum abziehen lässt, die Stück für Stück vom Wildkörper weggeschnitten werden muss, empfiehlt er ein spezielles Messer, das in Europa wenig bekannt ist: „Das ist ein Messer mit einer abgerundeten Spitze, das in etwa so aussieht wie ein großes Buttermesser. In den USA nennt man dieses Werkzeug ‚beaver knife‘, und es ist ideal, denn mit der abgerundeten Spitze besteht gar nicht erst die Gefahr, ins Fleisch einzuschneiden. Damit kann ich dann auch die Bauchlappen von Wildschwein oder Hirsch nutzbar machen, indem ich einen kleinen Einschnitt mache und dann die Haut vom Wildbret mit dem Knauf wegklopfe.“
Die Technik - richtig zerlegen
Der nächste Schritt auf dem Weg in die Küche ist das Zerlegen des Wildbrets: Hierbei werden die Keulen aus dem Becken sowie die Schulterblätter vom Körper und der Rücken vom Hals und den Rippen getrennt. Dies geschieht noch am Haken in der Wildkammer, die Teile werden auf saubere Kunststoffbretter abgelegt.
„Und dann kommt das Feinzerwirken.“ Karl Schmid seufzt bei dem Thema ein wenig: „Man kann da schon den einzelnen Fleischpartien gut folgen, bei der Keule zum Beispiel oder bei den Blättern, die sind ja durch Sehnen und feine Häute gut voneinander getrennt und quasi als einzelne Pakete verpackt.
Es ist aber sinnvoller, sich das von einer Fachkraft zeigen zu lassen und dann selbst unter Aufsicht ein oder zwei Stücke fertig zu zerwirken.“ Schmid bietet solche Kurse an, unter anderem lehrt er auch den sogenannten „Schweizer Schnitt“, bei dem das Wild komplett sehnen- und faszienfrei zerlegt wird.
„Das muss man sich so vorstellen: Zerlege ich eine Rehkeule herkömmlich, habe ich Ober- und Unterschale, Nuss und Hüfte. Vier Teile. Beim Schweizer Schnitt bekomme ich zwölf Einzelteile, die sich ganz hervorragend für Kurzgebratenes auf dem Grill oder in der Pfanne eignen.“
Kreativ sein
Schnitzel, Gulasch und noch viel mehr
Wildbret endet nicht zwangsläufig nur als Schnitzel aus der Keule, als Rückenfilet oder als Gulasch aus Träger oder Schulter. Aus allen Abschnitten und Knochen lässt sich eine wunderbare Wild-Consommé kochen. Der Wildschweinnacken eignet sich wunderbar für eine luftgetrockneten Coppa, eine Hirschkeule für eine Bresaola. Aus der Fettbacke einer starken Wildsau wird der berühmte italienische „Guanciale“-Schinken, ohne den Pasta Carbonara keine Carbonara ist.
Aus Nacken oder Schulter bereitet ein Fleischwolf Faschiertes, das in der Pfanne kein Wasser zieht und im Aroma jede Konkurrenz von Rind oder Schwein um Längen schlägt. Und wenn man bereits im Besitz eines Fleischwolfs ist, dann ist der Weg zum Wursten nicht mehr weit.
Auch die Innereien nutzen
Aus den Innereien des Wildes lässt sich Köstliches zubereiten. Beuschel, Leber und Nieren sind den meisten bekannt, aber dass man den Lecker von Hirsch oder Reh pökeln und dann zu einer Zungensulz weiterverarbeiten kann, wissen nicht viele.
Natürlich macht das alles Arbeit. Aber wir gehen mit dem hochwertigsten Lebensmittel um, das es in unseren Breiten gibt, und das hat diese Aufmerksamkeit und diesen Respekt nun einmal verdient.
Wichtig ist, dass man es sauber aufbricht und herrichtet, dass man es ordentlich und exakt in die richtigen Teile zerlegt. Dann hat man ein gutes Fleisch, Stück für Stück.
Vom Schuss zum Kochtopf
Über Karl Schmid
Karl Schmid ist passionierter Metzgermeister und Jäger aus Oberbayern. Der verantwortungsvolle Umgang mit Tieren als hochwertige Lebensmittel steht für ihn an erster Stelle. Das findet sich auch in seinem EU-zertifizierten Wildzerlege- und Verarbeitungsbetrieb wieder. In Seminaren zeigt er Interessierten, wie sie jedes Tier komplett - nose to tail - verarbeiten und veredeln können.