Um so weit wie möglich in das Jagdgebiet eindringen zu können, verließ ich bereits im ersten Morgengrauen mit meinen zwei Jagdgefährten das Camp. Unser erstes und oberstes Ziel war es, Rentierfleisch mit nachhause zu bringen – die Saison hatte gerade angefangen und unsere Gefrierschränke waren nahezu leer. Aber mit einer Sommer-Abschusslizenz für Moschusochsen in der Tasche bestand für mich auch der Hauch einer Hoffnung, vielleicht ein Rudel von Moschusochsen anzutreffen, obwohl das in Küstennähe eher die Ausnahme gewesen wäre. Am Tag vor der eigentlichen Jagd segelten wir einige Stunden lang in die Fjorde hinein, um zu einem breiten, von Gletschern gesäumten Tal zu gelangen. Ich hatte dieses Tal schon zuvor bejagt und das Glück gehabt, einige Rentiere zu erlegen.
Nach etwa einer Stunde Pirsch erreichten wir eine Anhöhe, von der aus wir einen guten Blick auf das Tal hatten, das wir nun abglasten. Schon kurz vor Erreichen der Anhöhe hatten wir Haarbüschel, oder quiviut auf Grönländisch, in einem Weidenstrauch gefunden und daher einen Beweis dafür, dass sich in jenem Sommer Moschusochsen in dem Tal aufgehalten hatten. Frische Losung wies darauf hin, dass das noch nicht so lange her war … Geschickt setzten wir von unserer erhöhten Position aus die Ferngläser ein und tatsächlich: Wir machten einige Kilometer weiter taleinwärts eine kleine Rentierherde aus. Während wir noch darüber diskutierten, wie wir uns am besten an die Herde anpirschen könnten, ohne sie zu vergrämen, tauchte plötzlich ein gigantischer, dunkler Schatten nur wenige hundert Meter von uns entfernt auf. Kein Zweifel: ein Moschusochse! Ein riesiger Einzelgänger, der gemächlich auf uns zu lief, während er die niedrigen Weidensträucher abäste, ohne wahrzunehmen, dass er beobachtet wurde.
Der Wind war günstig für uns, die Sonne war schon aufgegangen, und unsere Witterung wurde vom Wind die Berghänge hinaufgetragen. Sofort erkannte ich, dass dieser Bulle es wert war, dass ich meine Jagderlaubnis für ihn verwendete. Vorsichtig suchten wir die richtige Position, um sofort einen sicheren Schuss anbringen zu können, sobald der Bulle breitstand. Die Minuten vergingen, das riesenhafte Tier zog langsam näher. Als er etwa 100 Meter entfernt war, drehte er sich und stand schussgerecht. Der Leuchtpunkt im Zielfernrohr lag unmittelbar hinter der Schulter. Als der Schuss die Stille zerriss, machte der Bulle einen Satz nach vorne, eindeutig getroffen – aber er wusste nicht, wovon. Er machte einige Schritte, blieb wieder stehen – da brach mein zweiter Schuss. Er drehte sich einige Male um die eigene Achse, bevor er in der halbhohen Vegetation stürzte. Stille hielt wieder Einzug im Tal. Nur das Rauschen des Flusses ein paar hundert Meter unterhalb war zu vernehmen. Einem dieser Riesen der Urzeit zu begegnen ist eine unglaubliche Erfahrung – und ihn zu jagen, einfach überwältigend.
Bei der Jagd auf Moschusochsen kommt, wie überhaupt bei der Jagd, die meiste Arbeit nach dem letzten Schuss. Nachdem wir das riesige Tier eine halbe Stunde lang bewundert hatten, begannen wir damit, es aus der Decke zu schlagen und zu zerwirken. Sobald alles Wildbret in Jagdtaschen verstaut war, machte ich mich mit der ersten schweren Ladung zum Boot auf, während meine Gefährten auf der Suche nach der Rentierherde weiter ins Tal vordrangen. Vier Mal musste ich den kräfteraubenden Weg auf mich nehmen, bis ich das Fleisch mit dem Boot zurück ins Camp bringen konnte. Meinen Freunden war es nicht gelungen, in Schussweite zu der Rentierherde zu gelangen, aber die Stimmung war bestens und wir genossen ein wohlverdientes Abendessen, während wir wieder und wieder die Ereignisse des Morgens Revue passieren ließen. Als ich so dasaß, schweiften meine Gedanken zurück zu jener Winterjagd zwei Jahre zuvor. Damals hatte ich nicht die Möglichkeit gehabt, die Eindrücke auf mich wirken zu lassen, aber ein Gefühl war genauso wie damals: Ich konnte jeden einzelnen Muskel meines Körpers spüren, als ich später in der Nacht in meinen Schlafsack kroch.
FERNGLÄSER
Viel Zeit wird damit zugebracht, die endlose Tundra nach Moschusochsen abzuglasen, daher ist ein gutes Fernglas ein absolutes Muss – vorzugsweise mit eingebautem Entfernungsmesser, da es schwierig ist, die Distanzen in der offenen, baumlosen Landschaft ohne Referenzpunkte richtig einzuschätzen.
ZIELFERNROHR
Für die Bedingungen, wie sie in Grönland herrschen, empfehle ich ein leichtes Zielfernrohr wie etwa das Z6i 2,5-15x44 P BT.
Teleskop
Ich hatte auf meinen Jagden immer viel Freude mit meinem leichten ATS 65 Teleskop, aber es geht auch ohne. Bisweilen kann man auch im Camp ein Spektiv ausleihen.
Über
Malte Nyholt
Malte Nyholt ist ein dänischer Autor und Outdoor-Fan. Schon von Kindesbeinen an interessierte er sich brennend für die Natur und beobachtete schon früh Vögel und Wildtiere. Im Alter von 16 Jahren begann er zu jagen; seine Jagderfahrungen sammelte er in weiten Teilen Nordeuropas, aber auch in Südafrika und Neuseeland. Vier Jahre lang lebte er in Grönland, um seinen Traum von der Jagd im hohen Norden zu verwirklichen. Malte arbeitet als Lehrer und möchte mit seinem vor sechs Jahren gestarteten Projekt Nordica Outdoors seine Leidenschaft für Aktivitäten in der Natur auch anderen vermitteln.
@nordicaoutdoors