Der Plan:
eine Auszeit am Strand – ohne Birding
Hinter uns lagen zwei lange Monate im Himalaja. Dort hatten wir es mit eisigen Winden, Thermounterwäsche und Daunenjacken zu tun, während wir die felsigen, baumlosen Hänge nach Anzeichen von Wildtieren absuchten. Wir sehnten uns nach einer ruhigen Auszeit in einer wärmeren und vertrauteren Umgebung.
Meine Partnerin Faiza und ich beschlossen, uns eine Auszeit zu gönnen. Eine Bekannte empfahl uns eine kleine Hütte mit Zugang zu einem privaten Küstenstreifen und unberührten Stränden am Arabischen Meer. „Keine Tierbeobachtung“, so lautete die Abmachung. Doch alles kam ganz anders.
Nach einer dreistündigen Fahrt
erreichten wir unser Ziel:
eine Hütte, versteckt zwischen Felsen und Wäldern direkt neben wunderschönen Sandstränden. Wir fühlten uns wie Forscher an einem verlassenen Ort. Als erfahrene Wildlife-Guides waren wir am nächsten Morgen schon früh auf den Beinen. Wir ignorierten den vertrauten Morgengesang der Malabar-Pfeifdrossel und machten uns auf zum Strand, um eine Runde zu schwimmen. Wir näherten uns gerade dem Wasser, als Faiza einen leuchtend blauen Fleck auf dem Felsen bemerkte. Bei näherer Betrachtung erkannten wir, dass es sich um einen Kappenliest handelte. Diese Art kannte ich von den Waldbächen des zentralindischen Dschungels oder den Mangroven der Ostküste. Hier am Strand hätte ich den Vogel nicht erwartet.
Es war eine lange Debatte.
Wir beobachteten den geschickten Jagdvogel
…bei der Jagd auf Fische und Krebse. Sollten wir zurückgehen, um Fernglas und Kamera zu holen, oder der Versuchung widerstehen? Natürlich entschieden wir uns für Ersteres. Und ehe wir uns versahen, hockten wir beide hinter einem Felsen, ausgestattet mit Fernglas und Kamera. Während wir den Kappenliest beobachteten, bemerkten wir einen einzelnen Flussuferläufer sowie Riff-, Schopf- und Mangrovereiher, ein Blaumerle-Weibchen und einen großen Schwarm Regenpfeifer, die auf den Wellen Ausschau nach Nahrung hielten. Es kam uns vor, als hätten wir die ganze Zeit vor dieser Vielfalt die Augen verschlossen. Wir waren in unserem Element und fühlten uns gleich wohl.
Auch im Wald wimmelt es vor Überraschungen
Am nächsten Morgen hörten wir, dass ein großer Adler vermutlich irgendwo zwischen Wald und Strand lebte. Auf unserem Weg durch den Wald bemerkten wir eine Vielzahl an Vogelarten, die wir nicht erwartet hätten. Denn wir hatten fast vergessen, dass dieser Landstrich zur Waldlandschaft der Westghats gehörte. Plötzlich sahen wir Schwärme von Orangekehl- und Graukopfbülbüls, Bambus-, Paradies- und Braunbrust-Blauschnäppern, Wacholderlaubsängern, Orangemennigvögeln, Flaggendrongos, Mistelfressern, Nektarvögeln und Pirolen sowie einen einzigen Glanzfleckdrongo (noch ein Vogel, den wir eher aus den Binnenwäldern kennen). Noch dazu hörten wir die unverwechselbaren Rufe des Malabarhornvogels. Etwas vollkommen Neues für uns.
Ein Weißbauchseeadler vor der Linse
Als wir dort ankamen, sahen wir, wie eine große weiße Gestalt über unseren Köpfen flog und sich in einem Kasuarinenbaum ganz in unserer Nähe niederließ. Ein Weißbauchseeadler-Weibchen saß in seinem Nest und starrte uns an. Schnell fanden wir eine Lichtung, von der aus wir einen ungehinderten Blick auf das Nest hatten. Und jetzt sahen wir die beiden flauschigen, mit Daunenfedern bedeckten Küken.
Plötzlich hörten wir einen lauten Ruf. Das Männchen war im Anflug mit einem großen Fisch in seinen Krallen. Das Weibchen antwortete auf den Ruf und die Küken streckten ihre Köpfe in die Höhe. Geschickt landete der Weißbauchseeadler im Sturzflug auf dem Nest. Nun machte sich das Weibchen auf den Weg, während das Männchen den Nachwuchs mit dem Fisch fütterte. Welch ein atemberaubender Anblick!
Im Laufe der nächsten
zwei Tage
…liefen wir jeden Morgen und Abend durch den Wald, zeichneten die Vögel auf und beobachteten das Weißbauchseeadler-Nest. Von dem nahegelegenen Lateritplateau aus konnten wir große Schwärme von China-Kurzzehen- und Malabarlerchen, Steppen- und Spornpieper, Weißbrauenbülbüls, Kiebitzen, einen einzelnen Wanderfalken und zwei Steppenadler, eine Schlangenweihe und große Schwärme Rauch- und Rötelschwalben beobachten. Von unserer Basis am Strand aus konnten wir gleich in mehrere Lebensräume eintauchen.
Die vollständige
Vogelliste
… belief sich am Ende auf über 120 Arten, darunter pelagische, Küsten-, Wald- und Graslandvogelarten. Auf unseren Nachtspaziergängen bei Ebbe sahen wir auch gestrandete Fische, Garnelen, Krabben, Nacktkiemer und Seeschlangen. Unsere Bekannte empfahl uns diesen Ort, weil es hier keine Tiere geben würde, die wir beobachten könnten. Zum Glück war das Gegenteil der Fall.
Über den Autor:
Surya Ramachandran
Surya Ramachandran ist ein Ingenieur aus der südindischen Stadt Chennai, der seiner Leidenschaft in die Wildnis folgte. Als Praktikant begab er sich auf eine Dschungelreise, die in den Wäldern des Satpura-Nationalparks bei Forsyth Lodge begann. Wenig später machte er seine Leidenschaft zum Beruf. Derzeit organisiert er Beobachtungstouren zu abgelegenen Orten, baut Lodges und plant Erlebnisse in Ladakh im Transhimalaya, wobei der Schwerpunkt auf Schneeleoparden und anderen kleineren Arten liegt.